Michel Barlow
Übersetzung Jean Gaspar
Es ist bedauerlich, dass manche Christen nichts wissen oder nichts wissen wollen von der jüdischen Frömmigkeit zur Zeit Jesu ! In diesem Licht wird klar, dass Jesus das Vaterunser nicht völlig frei erfunden hat . Das kulturelle Umfeld des Textes – man müsste sagen, die kulturelle Verwurzelung des Gebetes Jesu – bestätigt es . Jesus, ein frommer Jude, wendete sich an fromme Juden die in der Mehrzahl seine Jünger waren . Er konnte nicht tun, als würde er es nicht wissen : das Vaterunser übernimmt Gebetsformeln des Kaddish, des Gebetes, das während des Gottesdienstes in der Synagoge immer wiederholt wurde . „Dein heiliger Name werde gepriesen und verherrlicht“ heisst es im Kaddish , dem entspricht „geheiligt werde dein Name“; „… in der Welt, die er seinem Willen nach, geschaffen hat „ wird „ Dein Wille geschehe“; „ Er möge sein Reich zu euren Lebzeiten schaffen und zu Lebzeiten des Hauses Israel, bald und in naher Zeit „ wird „Dein Reich komme, im Himmel wie auf Erden“. Man kann diese Abhandlung in „Die Bibel und ihre Kultur“, einem Werk , erschienen 2000, von Michel Quesnel und Philippe Gruson finden .
Man wird zugeben, das Vaterunser gleicht erstaunlich dem Kaddish, aber es unterscheidet sich auch beachtlich davon. Das Kaddish wendet sich nicht direkt an Gott: streng genommen ist es auch kein Gebet, sondern eine Sammlung von unpersönlichen Wünschen: wenn man wünscht, Gott möge sein Reich errichten, wer wird dann seinen Namen preisen und verherrlichen? Aus diesn Wünschen macht Jesus ein an Gott gerichtetes Gebet. Wahrscheinlich lehrt er das seinen Jüngern: die kultischen Formeln benutzen um daraus ein persönliches, verinnerlichtes Gebet zu machen.
Man wird auch bemerken, dass im Kaddish die ersten zwei Worte, so wesentlich im christlichen Gebet, fehlen: Vaterunser. Sicher, die Vorstellung der Vaterschaft Gottes war der jüdischen Überlieferung nicht fremd, aber sie gehörte zur Metapher: „Gott ist der Vater Israels“. Jesus lehrt seinen Jüngern, daraus ein existenzielles Erlebnis zu machen : wirklich zu leben als ein Kind Gottes und es von Herzen auszudrücken.
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